Erste Liebe – letzte Riten by McEwan Ian

Erste Liebe – letzte Riten by McEwan Ian

Autor:McEwan, Ian [McEwan, Ian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257606355
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-03-04T16:00:00+00:00


[153] Gespräch mit einem Schrankmenschen

Sie fragen mich, was ich gemacht habe, als ich dieses Mädchen sah. Den Schrank sehen Sie ja; er ist schließlich fast so groß wie das Zimmer. Ich bin den ganzen Weg hierher zurück gerannt, hineingekrochen und habe mir einen runtergeholt. Glauben Sie bloß nicht, ich hätte dabei an das Mädchen gedacht. Nein, das wäre unerträglich gewesen. Ich habe stattdessen mein Leben zurückverfolgt, bis zu der Zeit, als ich knapp einen Meter groß war. Dadurch ging es wesentlich schneller. Jetzt halten Sie mich für ein perverses Schwein, das seh ich doch. Immerhin hab ich mir danach die Hände gewaschen, und das ist mehr, als man von den meisten sagen kann. Und außerdem ging es mir gleich viel besser. Es hat mich irgendwie lockerer gemacht, falls Sie verstehen, was ich meine. So, wie es hier in diesem Zimmer aussieht, läuft ja auch nicht viel. Oder? Ihnen ist das sowieso egal. Jede Wette, Sie wohnen in einem sauberen Haus, und Ihre Frau wäscht die Laken, und die Regierung zahlt Ihnen dafür, daß Sie was über Leute herausfinden. Na schön, ich weiß, Sie sind… wie [154] heißt das noch?… Sozialarbeiter, und Sie versuchen zu helfen, aber mir können Sie nichts Gutes tun, es sei denn, Sie hören einfach zu. Ich ändere mich jetzt auch nicht mehr, ich bin zu lange ich gewesen. Aber reden tut gut, und deshalb werde ich Ihnen jetzt von mir erzählen.

Meinen Vater hab ich nie gesehen, er starb vor meiner Geburt. Ich glaube, damit fingen die Probleme schon an: Meine Mutter hat mich großgezogen, sie und sonst niemand. Wir wohnten in einem großen Haus in der Nähe von Staines. Sie war nicht ganz dicht, wissen Sie, daher habe ich das auch. Sie war verrückt nach Kindern, aber sie wollte nicht noch einmal heiraten, und damit war ich dran, als einziger; ich mußte alle Kinder sein, die sie sich je gewünscht hatte. Sie versuchte, mich daran zu hindern, daß ich erwachsen werde, und das gelang ihr auch eine Zeitlang. Wissen Sie, ich habe nicht ordentlich sprechen gelernt, bis ich achtzehn war. In die Schule bin ich nicht gegangen; sie behielt mich zu Hause, weil sie meinte, daß wir in einem üblen Stadtteil wohnten. Sie behütete mich bei Tag und Nacht. Als ich für mein Kinderbettchen zu groß wurde, war ihr das gar nicht recht, und sie zog los und kaufte auf einer Krankenhaus-Auktion ein Gitterbett. Solche Sachen machte sie. Bis ich weg mußte, hab ich in dem Ding geschlafen. Ich konnte in keinem normalen Bett [155] schlafen; ich dachte, ich würde rausfallen und konnte dann nicht einschlafen. Als ich fünf Zentimeter größer war als sie, versuchte sie immer noch, mir einen Schlabberlatz um den Hals zu binden. Sie war wahnsinnig. Sie besorgte sich einen Hammer und Nägel und ein paar Latten und versuchte, so etwas wie einen Babystuhl für mich zu basteln, und da war ich vierzehn. Sie können sich ja vorstellen, daß das Ding völlig zusammenbrach, als ich mich draufsetzte. Aber Himmel noch mal! Der Brei, mit dem sie mich immer fütterte.



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